Ein Düppelstürmer 

1864

Auszug aus: Kriegserlebnisse des Veteranen J. Bubbe
 zur 50-jährigen Wiederkehr der Ereignisse veröffentlicht von

H. F. Bubbe.

Mit Federzeichnungen von Joseph Windich

Dritte Auflage

 Dreiundvierzigstes der grünen Bändchen

Herausgegeben von Nicolaus Hennigsen

Verlagt von Hermann Schaffstein

In Cöln am Rhein


Missunde

Beim Dormarsch am 2. Februar hatte das Füsilierbataillon 24 wieder die Spitze der Avantgarde, nur mit dem Unterschiede, dass die Kompanien heute in umgekehrter Ordnung vormarschieren, also die 12. Kompanie, bei welcher der Verfasser dieser Kriegserinnerungen stand, als die erste.

Die Kompanie bildete Spitze, Vortrupp und Haupttrupp; der Rest des Bataillons folgte in geringer Entfernung. Se. Königliche Hoheit, der Prinz Friedrich Karl, mit seinen Offizieren seines Stabes, sowie unser Major und unser Hauptmann ritten unmittelbar vor dem Haupttrupp.

Ein Blick auf die Generalstabskarte belehrt, dass hinter dem Dorfe Kosel, in einer Entfernung von etwa 400 m, das Gelände zu einer mäßigen Höhe ansteigt, die sich von Ost nach West zieht und sich vor einen Bogen der Schlei lagert. Die Straße von Eckernförde über Kosel nach Missunde geht, nachdem sie Kosel durchlaufen hat, fast im rechten Winkel ab und quer über den Höhenzug, um sich am jenseitigen Abhang mit einer Straße, die vom Langen-See her auf Missunde führt zu vereinigen. Im Gelände jenseits des Höhenzugs liegt das Dorf Missunde. Eine Brücke führte damals vom nördlichen Ausgang des Dorfes über die schmale Stelle der Schlei zum jenseitigen Ufer. Vor dem Dorfe Missunde, aber noch innerhalb des Schleibogens, waren rechts und links zwei mächtige Schanzen erbaut, die mit ihren schweren Geschützen den ganzen Höhenzug bestrichen. Als unser Haupttrupp den Ausgang des Dorfes Kosel erreicht hatte, signalisierten die die Höhe vor uns hinaufsprengende Husaren durch Karabinerschüsse den Feind. Auch der Vortrupp schwärmte aus, der Haupttrupp und das Gros mussten halten. Jetzt sahen wir, wie über den Höhenzug rechts von der Straße eine lange feindliche Schützenlinie abzog, auf die unser Vortrupp das Feuer eröffnete. “seht“, rief lachend der Prinz, „wie sie laufen! Dabei haben sie eine Viertelstunde von hier schon Schanzen. Vorwärts! Wir wollen sehen, ob sie sich gleich hinter ihrem Bollwerk verkriechen werden!“ Und weiter ging es. Der Vortrupp, der aus unserem Schützenzuge bestand, schritt uns als Schützenlinie voraus. Bevor wir jedoch die Höhe vollends erreichten, mussten wir noch einmal halten, um die uns folgenden Kompanien sich entwickeln zu lassen. Bei dieser Gelegenheit  ging die 11. Kompanie an uns vorüber. Dabei trat der Leutnant Hagemann zu einem unserer Offiziere, dem Leutnant v. Kl., heran, verabschiedete sich in herzlicher Weise und sagte:“ Kamerad! Wir sehen uns nicht wieder!“ Leider hatte ihn die Todesahnung nicht betrogen; durch den Kopf getroffen, starb er den Heldentod, als er seinen Zug bis dicht vor die dänischen Werke geführt hatte.

Wir bogen links von der Straße ab und gingen gegen den Kamm der Höhe weiter vor. Vereinzelte Gewehrkugeln, die, wie es schien, von weit her kamen, pfiffen uns um die Köpfe. Sehen konnte man gar nichts; denn die anfangs nasskalte, dicke Luft war vollständig nebelig und schien von Minute zu Minute immer undurchsichtiger zu werden. Da, als wir eben den Kamm der Höhe erreicht hatten, war es, als würde dieser Nebelschleier plötzlich zerrissen, zwei gewaltige Donnerschläge, welche kurz auf einander folgten, erschütterten die Luft.

Wenige Sekunden später sausten ein paar riesige Gehschosse mit ohrzerreißendem Geheul über unsere Köpfe hinweg und platzten in einiger Entfernung hinter uns, in dem sie Sprengstücke bis zu uns schleuderten. Ein Stück fuhr dicht vor der ersten Sektion in den Boden, das ganze erste Glied, sowie den Hauptmann mit Erde überschüttend.

Auf solche Überraschung war unsere junge, kriegsfremde Truppe nicht vorbereitet. Kein Wunder, wenn sich die Leute bei dem furchtbaren Geheul dieser 84 pfündigen Granaten wie auf Kommando Niederduckteen. Es ist Selbsterhaltungstrieb, unter dessen Einfluss sich selbst die nervenstärkste Natur beugen muss, bevor sie sich an die Gefahr gewöhnt hat.

Nach kurzem weiterem Vorgehen wurde die Kompanie wieder zurückbeordert, um einstweilen den Rand  des Höhenzuges besetzt zu halten. Während dieser Zeit brüllte eine ganze Anzahl der mit Sprengstoff gefüllten Geschosse, die einen Durchmesser von etwa 25 cm hatten, über uns hinweg. Bald vermochten sie uns nicht mehr zu imponieren, trotzdem uns die Sprengstücke zuweilen um die Köpfe sausten. Getroffen ward hier glücklicherweise niemand. Die Dänen schossen aufs Geratewohl, da sie die dem herrschendem Nebel ebenso wenig etwas sehen konnten wie wir.

Als wir die erwähnte Stellung eingenommen hatten, ritt Se. Königliche Hoheit mit dem Stabe die Landstraße entlang, bis über unsere Schützenlinie hinaus, jedenfalls, um seine Anordnungen über den Artillerieangriff zu treffen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Graf von Gröben von den Ziethen - Husaren, persönlicher Adjutant Sr. Königlichen Hoheit, von einem Granatsplitter tödlich am Kopf getroffen und sank sterbend vom Pferde.

Während die Kompanien unseres Bataillons sich einzeln in dem dichten Nebel bis zum Kamm der Höhe rechts und links von der Straße schrittweise vortasteten, jeden Augenblick gewärtig, auf den in Position lauerndem Feind zu stoßen und mit Kugeln überschüttet zu werden, war die zur Verfügung stehende Artillerie der Avantgarde bis an den Höhenzug herangezogen worden und hatte die ganze Straße bis Kosel besetzt. Von unserer Stellung aus konnte ich die Straße sowohl als das Geländer rechts von der Straße, soweit es der Nebel zuließ, übersehen. Da hörte ich das Kommando: „ Artillerie zum Gefecht aufstellen“ – Und nun kam Leben in die unbewegliche Masse. – Säbelgerassel, Kommandorufe. - Handpferde, Protzen- und Lafettensitze waren im nu besetzt, - ein Augenblick kurzer Musterung, dann schmetterte der Trompeter seine Fanfare in die Nebelluft hinein, und die Batterien rasselten die Höhe hinauf, dirigiert von den vorsprengenden Chefs und Zugfrüheren. Da gab es kein Hindernis, über Gräben, Steinhaufen und Sturzäcker folgen die Geschütze leicht hinweg. Ein Geschütz nach dem anderen rücket in die Front ein. „Protzt ab! Vom rechten Flügel feuern“ nur wenige Minuten waren verflossen seit des Trompeters Signal, da erdröhnte schon der erste Schuss, und die Granate fuhr zischend in die Schanzen des  Feindes hinein.

Die zweite gezogenen Batterie vom Brandenburgischen Feldartillerie-Regiment Nr. 3 war die erste, die das Feuer gegen die Schanzen der Dänen eröffnete. Der Nebel war schon so dicht geworden, dass die Artillerien das Ziel absolut nicht zu erspähen vermochten; sie mussten nach dem Knall der dänischen Geschütze und nach der Richtung, in welcher die Granaten des Feindes vorübersausten, ihre Geschütze richten; einen Anhalt für die Entfernung bot die Karte. Die Trefferfolge konnten daher nur ungünstig sein. Es war dabei auch nicht zu vermeiden gewesen, dass unsere Granaten über die Werke hinausgingen und das Dorf Missunde in Brand stecken, was bei durchsichtiger Luft wohl kaum vorgekommen wäre. Nach und nah wurden immer mehr Batterien in Treffen geführt, die die ganze Stellung des Feindes von einem Halbkreise aus unter Feuer nahmen. Natürlich antworteten die Dänen auch energisch, so dass eine Kanonade entstand, welche die Erde erbeben machte.

Gleich nachdem die erste Batterie ihr Feuer eröffnet hatte, wurden die 9., 10, und 11. Kompanie unseres Bataillons durch eine Geländesenkung rechts von dieser Batterie gegen die Schanzen weiter vorgeschoben. Ihre Hilfstruppen nahmen Aufstellung hinter einem halb niedergelegten Knick, während ihre Schützenzüge sich bis auf 50 Schritt vor die Schanzen heranwagten, sich dort niederwarfen und die Kronen der Schanzen sowie die Schießscharten unter heftiges Feuer nahmen. Die Dänen hatten nur Vorderladergeschütze, sie mussten sich daher jedes Mal beim Laden (wenn auch die Geschütze etwas zurückgezogen wurden) in den Schießscharten zeigen. Diese Gelegenheit benutzen unsere Schützen, um einen nach dem anderen „wegzupusten“, und fügten auf diese Weise dem Feinde empfindliche Verluste zu. Aber auch unsere Artillerie kannte keine Schonung. Als am Spätnachmittag der Nebel etwas durchsichtiger wurde, da fuhren die Granaten unserer Geschütze mit solcher Genauigkeit in die Schießscharten der Dänen hinein, dass die Stücke herunterfolgen und viele Kanonen des Feindes unbrauchbar gemacht wurden. Über unsere Schützen hinweg sausten die eigenen Granaten, sowie die der Dänen. Die Tapferen hatten daher eine sehr ernste und blutige Feuertaufe zu bestehen.; nicht nur, dass sie den feindlichen Infanteriefeuer in empfindlicher Weise ausgesetzt waren, auch die Sprengstücke unserer Granaten belästigten sie noch. So kam es, dass diese drei Züge starke Verluste erlitten. Viele wurden im Liegen durch den Kopf geschossen; auch der vorhin erwähnte Leutnant Hagemann zählte zu den Opfern.

Jetzt fiel uns die Aufgabe zu, zur Deckung der Artillerie Aufstellung zu nehmen. Das war eine undankbare Aufgabe. Unsere Kameraden waren wenige hundert Schritt vor uns mit dem Feind handgemein, wir mussten mehrere Stunden untätig auf einem Fleck verharren. Dazu die nasskalte Witterung und den tauenden Schnee unter uns. Außerdem hatten wir viel von den Sprengstücken der feindlichen Granaten , die unserer Artillerie galten zu leiden. Inzwischen hatten die Dänen auf dem linken Flügel unserer Stellung, wo andere Bataillone der Avantgarde ins Gefecht getreten waren, einen Ausfall versucht, der energisch zurückgewiesen wurde. Aber man fürchtete auch die Artillerieaufstellung unseres rechten Flügels. Es wurde daher eine Kompanie Sechziger zu unserer Verstärkung beordert. Diese fassten neben uns Posten.

Ein imposanter Anblick lenkte unser Aufmerksamkeit von unserer unangenehmen Situation ab. In geringer Entfernung von uns entwickelten sich 5 Bataillone der 11. Infanterie-Brigade zu einem Angriff auf die Schanzen. Es war ein begeisternder Anblick, als die Truppenmassen in zwei treffen mit Fliegeneden Fahnen unter den Klängen des Preußenmarsches von Ornum her auf die Werke losgingen. Leider war ihr Empfang derartig furchtbarer, dass sie sich nach erfolglosem Versuch unter schweren Verlusten wieder zurückziehen mussten. Kurze Zeit nach diesem misslungenen Vorstoß wurde das Gefecht abgebrochen; denn es hatte  sich herausgestellt, dass durch den Handstreich die Schanzen nicht zu nehmen waren. Beim Abbruch des Gefechtes, kurz vor Beginn der Dunkelheit, verschwanden die Batterien, eine nach der anderen von dem Gefechtsfelde, nur unsere vorgeschobenen Infanterie - Kompanien hatten ihre Position noch inne, um die Infanterie des Feindes in Schach zu halten. Die feindliche Artillerie war ziemlich schweigsam geworden.

In der übelsten Lage befanden sich natürlich die Schützenzüge, die dicht vor den Werken lagen. Sie mussten unter den heftigsten Infanteriefeuern des Feindes im Laufschritt eine Strecke von 100 Schritten durcheilen, ehe sie Deckung fanden. Dazu kam , dass jetzt der Nebel fast gewichen war, und die Dänen die abziehenden Schützen mit erfolg beschießen konnten, so dass mancher Füsilier hier sein leben lassen musste. Ein leuchtendes Beispiel von Aufopferungsfähigkeit, Kameraden- und Menschenliebe gab in dieser peinlichen Situation der Gefreite Gewert der 9. Kompanie. Sein Nebenmann ward am Fuße verwundet und stürzte nieder. „Oh lasst mich doch nicht in die Hände des Feindes fallen,“ jammerte er. Alle rannten sie weiter und ließen ihn liegen; nur Gewert blieb im Feuer des Feindes, lud sich des Verwundeten mit großer Anstrengung auf und trug ihn unbekümmert um die unlaufenden Geschosse, die ihn wunderbarerweise verschonten, in sichere Deckung; dann erste rannte er seiner Kompanie nach, nachdem Krankenträger sich des Verwundeten angenommen hatten. Die Brust des Braven schmückte bereits die Rettungsmedaille am Bande.

Es war vollständig Abend geworden; aber das Schneelicht gestatte noch einen einigermaßen klaren Fernblick. Auf einer Eisfläche, die rechts von uns lag, hüpften einige zu kurz geratene Granaten aus feindlichem Geschütz unter wundervollen Lichteinwirkungen dahin. Die matten Geschosse drehten sich wie Kreisel, während die glimmenden Zünder einen Funkenregen gaben. Der beste Kunstfeuerwerker hätte kein schöneres Bild hervorzaubern können. Aller Blicke wurden unwillkürlich gefesselt. Da – zwei gewaltige Explosionen, - und noch einmal wurden wir mit Sprengstoffen überschüttet, die leider wieder ein Opfer forderten. Aber es war die Schlussszene des heutigen Dramas: „Feuertaufe.“ Manch lieber Kamerad fehlte.

Jetzt setzte sich das Bataillon in der Richtung auf Ornum-Mühle in Bewegung, die zugefrorene Koseler Au überschreitend. Auf Ornum-Mühle kam der Befehl: „Die 9., 10. und 11. Kompanie können nach Ornum - Gut abrücken, um dort das Gros der Vorposten unter Benutzung der Gebäude zu kampieren, die 12. Kompanie in Gemeinschaft mit der Jägerkompanie zieht auf Feldwache!“ Das war eine nette Aussicht für die Nacht nach den schweren Anforderungen des verflossenen Tages.

Die erste Feldwache

Die Landstraße von Ornum nach Missunde führt bei der Ornumer Mühle etwa 1000 schritte vor den dänischen Schanzen über die Koseler Au. Das Wohngebäude und einige Nebengebäude liegen dicht vor der Brücke, hart rechts an der Straße, während links die hohe holländische Windmühle und eine Scheune stehen. Diese für die Verteidigung äußerst wichtigen Gebäude als Feldwache zu besetzen, erhielt unser Zug den Auftrag. Das Wohngebäude war schon als Feldlazarett  eingerichtet, die Räume waren alle mit Verwundeten belegt. Also blieb der feldwache weiter nichts übrig, als sich unter freiem Himmel einzurichten.

Nachdem die erforderlichen Doppelposten  ausgestellt und eine Patrouille in das Gelände vor der Postenkette entsendet worden war, erhielt ich den Auftrag, unserem Hauptmann von diesem Vorgang Meldung zu erstatten. Er sollte in der Mühle zu finden sein. Auf dem Wege dahin passierte es mir in der Dunkelheit im Schatten der Gebäude, dass ich über einen Gegenstand stolperte und lang zu Boden stürzte. Als mein Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, gewahrte ich, dass ich über einen Pferdekadaver gefallen war und in der von einem Tier herrührenden Blutlache lag.

 Ornumer Mühle um 1864 und heute (1 Fundament Wassermühle, 2 Keller der Windmühle, 3 Soldatengrab)

Ich sprang auf, ging weiter und traf bald auf den Hauptmann, der gerade im Bergriff war, sich zu unserer Feldwache zu begeben. Ich stattete instruktionsmäßig meine Meldung ab und sprach dabei so laut, wie ich es sonst im Dienst zu sprechen gewohnt war. Über diese Unvorsichtigkeit bekam ich aber gleich einen gehörigen Rüffel: „Wollen Sie wohl! - - Wir sind hier vielleicht von Spionen umgeben! Und Sie sprechen über unsere Stellung, dass man es, wer weiß wie weit, hören kann; für so unvorsichtig und gedankenlos hätte ich sie nicht gehalten!“

Um für die Feldwache einige Bunde Lagerstroh zu beschaffen, wurde ich mit mehreren Füsilieren vom Hauptmann beordert, in der Scheune zu requirieren. War es draußen sehr dunkel geworden, so war es auf der Scheunentenne rabenschwarze Finsternis; eine Laterne stand uns nicht zu Verfügung. Wir tappten uns daher, so gut es gehen mochte, zurecht. Plötzlich stieß einer der Füsiliere auf einen Körper. In dem Glauben es habe sich einer der Kameraden hier schlafen gelegt, rüttelte er ihn kräftig; da erfasste er eine eiskalte, steife Hand. Nie vergesse ich den entsetzten Ausruf des erschrockenen Burschen: “Jesus, - hier liegt ein Toter!“ Da brachten die Krankenträger aus dem nahe gelegenen Lazarett wieder einen heran, der ausgerungen hatte und vorläufig hier untergebracht werden sollte. Die Leute hatten Laternen bei sich, und nun konnten wir sehen, dass schon zehn Leichen auf der Scheunentenne lagen.

Unverrichteter Sache kehrten wir indessen doch nicht zur Feldwache zurück; die Laternen waren uns sehr willkommen; wir konnten nun aus dem Nebenraume der Scheune schnell einige Bunde Stroh mitnehmen.

Unser Feldkommandeur war einer der jüngsten Offiziere des Regiments, dabei schwach und klein von Aussehen. Aber dennoch hatte er trotz Übermüdung pflichtbewusst die Feldwache eingerichtet, die Posten ausgestellt und instruiert, ehe er sich Ruhe gönnte. Jetzt saß er an dem kleinen Feuer, das wir in den Wall eingegraben hatten, damit es nicht weit leuchte. Man sah es ihm an, wie ihn die Eindrücke des Tages und die Strapazen mitgenommen hatten. Ihm war es daher sehr willkommen, dass wir ihm ein ordentliches Lager von Stroh bereiten konnten. Inzwischen hatte der Bursche auf für wärmendes Getränk gesorgt, nach dessen Genusse die Lebensgeister  neu belebt wurden.

Nachdem jeder aus den Vorräten des eisernen Bestand des an Kaffee, Zwieback und was sonst noch vorhanden war, das Nötige entnommen und für die Befriedigung des knurrenden Magens so gut es eben anging, gesorgt hatte – nachdem ferner durch Ausbreiten einer Strohschütte an der Böschung des Knicks auch ein trockenes Plätzchen zum liegen geschaffen war, ließ sich die Lage der Dinge schon mit anderen Augen ansehen. Das Eine hatten wird bereits erfahren: Im Kriege lernt man seine Wünsche auf ein Minimum beschränken; und der ist der Glücklichste, der sich hierbei froh und lebensfreudig fühlt.

Während wir uns auf der Feldwache eingerichtet und mit Speise und Trank versorgt hatten, war es mittlerweile auch Zeit geworden, an die Kameraden zu denken, die von Gefechtsfelde aus auf die Posten ziehen mussten, sie sollten nun abgelöst werden, damit sie etwas genießen konnten. Mir fiel das anführen der Posten zu; auch ich hatte außerdem den Auftrag erhalten, gleichzeitig mit der Ablösung deinen Streifzug ins Vorgelände zu machen. Bei dieser Gelegenheit waren wir auf die Höhe gelangt, über welche während des Gefechtes die 11. Brigade vorgegangen war. Am jenseitigen Fuße dieser Anhöhe, etwa 200 Schritte vor uns, musste die dänische Vorpostenkette stehen, denn zuweilen hörte man anrufen und sprechen. Ach blitzen Lichter auf, aber mehr nach den Schanzen zu; sie schienen von Laternen herzurühren. Wie wir später erfuhren, suchten die Dänen unsere Verwundeten auf, die wir beim Abzuge auf dem Schlachtfelde hatten lassen müssen, ein schöner Akt menschlicher Barmherzigkeit, der in mitten der Schrecknisse des Krieges dem herzen Wohltat. Dort leuchtete auch die Glut der niedergebrannten Gebäude von Missunde.

Bis auf das Zusammentreffen einer unserer Patrouillen mit einer feindlichen, wobei einige Schüsse gewechselt wurden, verlief die Nacht ruhig. Mit beginnendem Morgen wurde unsere Feldwache eingezogen.

Auf dem Wohngebäude der Mühle weht die weiße Fahne zum Zeichen, das hier Verwundete lagen. Die Genfer Konvention bestand damals noch nicht, die Kriegsbräuche richteten sich noch nach den Vereinbarungen der Staaten untereinander.

Nun war die Witterung am Morgen des 3. Februar wieder neblig und die Luft undurchsichtig. Als daher die Dänen bei Tagesanbruch wieder einige Granaten ins Gelände warfen, fürchtete man für die Verwundeten, die in der Mühle lagen. Es wurde daher unser Bataillonsadjutant mit einem Hornisten als Parlamentär entsandt, um dem Feinde davon Kenntnis zu geben, dass in der Ornumer Mühle ein Feldlazarett eingerichtet sei. Gleichzeitig wurde um einige Stunden Waffenruhe gebeten, damit die angesammelten Toten ungestört beerdigt werden konnten. Ach nochmalige Absuchung des Gefechtsfeldes nach Verwundeten schien geboten.

Die Unterhandlungen des Adjutanten waren von Erfolg begleitet gewesen, der dänische Kommandierende hatte der Waffenruhe zugebilligt; dieselbe sollte bis mittags 12 Uhr währen. In dieser zeit fiel uns die schwere Aufgabe zu, die gefallenen und im Lazarett verstorbenen Kameraden, man in der Scheune niedergelegt hatte, zu beerdigen; es waren ihrer zwölf und gehörten außer zweien, die von der 10, Kompanie stammten, den Regimentern 60 und 35 an.

Die erste Begräbnis stimmte und tieftraurig. Ohne Sarg, und ohne Sang und Klang wurden die jäh dem Leben Entrissenen in die kühle Gruft gebettet. Auch die üblichen Ehrensalven mussten unterbleiben, damit das Schießen in nächster Nähe des Feindes während der Waffenruhe keine Missverständnisse hervorrief.

Unter einem einzeln stehenden Eichbaum am diesseitigen Abhang derjenigen Höhe, über welche jene Toten unter den Klängen des Preußenmarsches, unter dem wallenden Banner ihres Königs, ihren letzten Gang getan, gruben wir die Gruft; groß genug um die alle miteinander zu betten. Nachdem die Leichen mit ihren Mänteln oder in Ermangelung solcher mit Stroh zugedeckt waren, forderte der kommandierende Offizier zu einem stillen Gebet auf. Danach warf jeder drei Hände Erde in die Gruft.

Das Soldatengrab 1864 und heute am Ornumer Weg

Vom Adjutanten erfuhren wir, dass die Dänen die vor der Schanze gefallenen Unsrigen ebenfalls schon beerdigt hatten, darunter den Sergeanten Braun der 11. Kompanie und den Leutnant Hagemann. Der Hund des Letzteren, ein großer Neufundlände, der auf den Namen „Bummel“ hörte, hatte seinen toten Herren nicht verlassen; er war nicht vom Grabe gewichen, so sehr nahm ihn lockte. Erst nach mehreren Tagen hatte er sich aus der dänischen Gefangenschaft frei gemacht und bei den 15. Füsilieren seine Zuflucht gesucht. Eine ganze Zeit später, als wir mit diesem Bataillon zufällig wieder einmal zusammentrafen, kam „Bummel“ voller Freude angesprungen, um unser treuer Begleiter zu bleiben.

Hier auf Ornum-Mühle stellte sich schon heraus, wie wohl die Vernünftigsten daran getan hatten, als sie sich ihre g a n z e eiserne Ration, namentlich in Zwieback, mitnahmen. Seit dem 31. Januar hatten wir überhaupt noch keine Lieferung erhalten, weil die Furierwagen uns entweder nicht folgen oder nicht finden konnten. Der Bestand an Zweiback war vergriffen, nur jene Einsichtigen hatten noch Vorrat.

Seit etwa dreißig Stunden waren wird nunmehr auf den Beinen und hatten das Gepäck so gut wie gar nicht von Rücken herunter bekommen. Man vermochte daher vor Müdigkeit sich kaum noch auf den Beinen zu erhalten. Als wir nun auf den Boden des Müllerhauses Unterschlupf fanden, warfen wir und nieder, wo es war, ob ein Mehlhaufen unser Lager bildete oder die kahlen Bretter. Nur Ruhe! – Ruhe! –

Nachmittags lösten uns die Jäger ab. Wir zogen nach dem Gute Ornum, wo die drei anderen Kompanien unseres Bataillons untergebracht waren.

Der folgende Ruhetag galt der gründlichen Reinigung von Gewehr und Sachen. Nebenbei konnten wir und aber auch im Essen ordentlich etwas zugute tun, da wir die Lieferung am Mundportionen für dem 1., 2. und 3. Februar mit einem Male nachgeliefert erhalten hatten. So schwelgten wir im Überfluss, versäumten aber auch nicht, den eisernen bestand zu ergänzen. Trotzdem blieb beim Ausmarsch viel liegen.

 Der Übergang über die Schlei

Im Morgengrauen des 5. Februar traten wir den Marsch an, der uns immer am südlichen Ufer der Schlei so weit landeinwärts führte, dass die Kolonnen von dem nördlichen Ufer, das der Feind besetzt hielt, nicht gesehen werden konnte. – Über Nacht hatte es stark gescheit und gefroren. Daher war die Straße ungewöhnlich glatt und die Anstrengungen des Marsches waren bedeutend.

Man ist im allgemeinen geneigt, die Leitungen der Truppen während des Feldzuges 1864 zu unterschätzen. Kein großes Operationsgebiet, immer gute Verpflegung, im Gefecht fast immer in der Überzahl, da mussten schon Erfolge errungen werden. Solche Urteile sind vielfach laut geworden. Nun, ich glaube, wenn die Kannengießer am Biertisch gesehen und empfunden hätten, was uns die Tage des Februar geboten, sie würden andrer Meinung werden.

Einen Halt zum ausruhen gab es an diesem Tage überhaupt nicht. Wenn die Truppen hielten, geschah es unfreiwillig, gewöhnlich hatte sich dann die Straße verstopft. Solch unfreiwillige Rast wirkt mehr ermüdend  als erholend, zumal, wenn wir mit Gewehr bei Fuß eine dreiviertel Stunde und noch länger warten mussten. Wir brauchten daher auch ungewöhnlich viel Zeit für die kaum 15 km Entfernung von Ornum nach Kappeln. Erst bei Einbruch des abends hielten wir Kappeln gegenüber.

Wir hatten das ziemlich große Dorf Kopperby erreicht; alles freute sich auf das Quartier. Leider aber wurde die Freude vereitelt; wir marschierten weiter. Als wir die letzten Häuser des Dorfes hinter uns hatten, bog die Spitze rechts von der Straße ab, und das Bataillon formierte sich auf einer Koppel nach der Mitte der Kolonne. Nachdem die Gewehre zusammengesetzt waren, eröffnete uns der Major, dass wir hier einige Stunden zubringen müssten; was weiter geschehen würde, würden wir schon sehen. Vor allen Dingen müsste sich ein jeder ganz ruhig verhalten, und Feuer dürfe auch nicht angezündet werden; wir befänden uns unmittelbar dem Feinde gegenüber, der die Stadt Kappeln besetzt hielte. Von Kappeln waren wir aber nur durch die Schlei getrennt. Dann fügte er noch launig dazu: „Nun tretet weg, und wer sein Bett mitgebracht hat, mag sich schlafen legen!“

 Ende des Auszuges

Siehe auch: Das Gefecht von Missunde am 02.Februar 1864  aus: Th. Fontane, Der Schleswig-Holsteinsche Krieg im Jahre 1864