1997: 125 Jahre Missunder Gilde!
1872 - 1997

Für eine Gilde als solche ganz sicher nicht, sind doch die meisten Gilden in unserem Lande wesentlich älter (750 Jahre und mehr in Dithmarschen). Bezogen auf unser Dorf sieht es jedoch etwas anders aus: Der korrekte Name im Gründungsprotokoll lautet "Missunder Hülfsverein von 1872". In den Statuten (heute Satzungen) lautet der § 1.: "Der Missunder Hülfsverein hat den Zweck bei Todesfällen sowie bei Knochenbrüchen seinen Mitgliedern Geldbeträge zur Unterstützung zu gewähren". Warum die Gründung gerade jetzt? Man lebte in einer sehr turbulenten Zeit. Vor genau 8 Jahren war das Dorf bei der Schlacht am 2. Februar fast völlig zerstört worden. Die Einwohner hatten alle die Evakuierung nach Bohnert mitmachen müssen und wohl den größten Teil ihrer Habe verloren. Der deutsch-französische Krieg war gerade zu Ende gegangen und der entscheidende Wandel: Schlewig-Holstein war preußisch geworden und damit kam es gerade für unser Dorf zu einer grundlegenden Veränderung. Ornum-Missunde sowie Eschelsmark-Ornum wurden Gutsezirke. Damit hatte der Gutsherr zwar die Funktion eines Gmeindevorstehers, war jedoch nicht mehr bis dahin Richter über seine Untertanen. Wollte er dann nicht vielleicht auch seine Fürsorgepflicht (heute Sozialhilfe der Gemeinden) für seine Leute loswerden? Liegt nicht der Verdacht nahe, daß der Gutsherr selbst den Anstoß zur Gründung eines derartigen Vereins gegeben hat? Genehmigen mußte er die Satzungen ja so und so. Dieses geht auch klar aus dem Schlußsatz im Gründungsprotokoll hervor: "Selbige Statuten sind mir als Ornumer Gutsobrigkeit zugänglich geworden und gegen dieselben nichts zu erinnern gefunden" gez. Lausen, Gutsinspektor. Erhärtet wird dieser Verdacht auch durch die Tatsache, daß alle Missunder Pachtbauern in die Bohnerter Pferdegilde (Ersatz für verendete Pferde) sowie in die "Adlige Brandgilde von 1691" eintraten. Mit dem sehr raschen Fortschritt des Allgemeinen Versicherungswesen Kranken-versicherungspflicht / Rentenversicherung) trat der ursprüngliche Sinn der Gilde mehr und mehr in den Hintergrund. Von Gründung an war die Hauptversammlung mit dem Gildefest verbunden. Anhang zum Gründungsprotokoll: So wie es einem jeden Menschen erlaubt ist, sich in seinem Leben in vernünftiger und den Gesetzen nicht zuwiderlaufender Weise zu freuen und zu belustigen, so solle die von dem Verein bestimmte Generalversammlung ein Scheibenschießen und Ball in nachfolgender Weise beigefügt werden! Noch immer war die 6-Tagewoch selbstverständlich. Hier wird dann auch § 12 verständlich: Jährlich einmal und zwar am 5. Juni. Fällt aber dieses Datum auf einen Sonnabend oder Sonntag, so wird dieselbe auch den darauffolgenden Montag abgehalten. Die Gildefeier war also ein zusätzlicher freier Arbeitstag. Somit war das Gildefest ein Tag, auf den sich die Menschen das ganze Jahr freuten. De veer schönsten Dage in`t Johr! "Wiehnachten, Ostern, Pingsten un Gill." Während der Ablauf des Schießens sowie der Hin- und Retourmarsch in den Paragraphen des Anhangs bis ins Kleinste vorgegeben ist, gibt es für die feierliche Umrahmung wie wir es heute kennen, keinerlei Hinweis. Es gibt keine Angaben über die Herkunft des Gildeschildes, der Fahne, der Königsschärpe sowie des Einsatzes von Musik. Es gibt keinerlei Hinweise über Fahnenträger und Fahnenschwenker! Von woher ist die Art des Fahnenschwenkens übernommen worden? Soweit der Verfasser in Erfahrung bringen konnte, gibt es in der näheren Umgebung nichts in der gleichen Art. Aus sich selbst entstanden? Tradition entsteht irgendwo. Aufnahme von Erfahrungen anderer? Wird wohl so gewesen sein. Die größte Veränderung des traditionellen Ablauf des Gildefestes gab es am 9. Mai 1936. Auf der Hauptversammlung wurde beschlossen, das Gildefest vor oder nach dem 5. Juni an einem Samstag zu feiern. Nun, die Gründe sind klar. Der Samstag war inzwischen arbeitsfrei geworden. Wer in der Woche feern wollte, mußte sich einen Tag freinehmen und das war vielen doch zu teuer! In etwa diesem Zeitraum dürfte auch der Beschluß gefaßt worden sein, Gildefest und Hauptversammlung zu trennen. Die Hauptversammlung wurde auf den Gründonnerstag verlegt. In keinem Protokoll ist ein derartiger Beschluß festgelegt. Auch die bekannten, ganz alten Gildemitglieder konnten nur mündlich von dieser Regelung berichten. Es ist halt Tradition geworden und wird auch heute noch so gehandhabt!

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Missunder Gilde um 1925

Missunder Gilde ca. anno 1900 In der Generalversammlung vom 20. Mai 1941 wurde beschlossen, wegen des Krieges keine Gilde zu feiern. Erst in der Hauptversammlung am 18. Juni 1947 wurde entschieden, wieder ein Gildefest zu veranstalten. Dieses fand dann am 25. Juni statt. Da noch alle Waffen für Deutsche verboten waren, schoß man mit der Armbrust nach dem Vogel auf der Stange. Zum ersten Mal wird auch eine Königin erwähnt, und zwar wurde diese beim Fischwerfen ermittelt. König wurde Hans Harmsen aus Eckernförde und Königin Lene Reimer aus Ornum-Mühle. Die Preise wurden durch Spenden aufgebracht. Das Ermitteln einer Königin ist sehr schnell wieder aufgegeben worden. Die Ursache ist wohl eine recht kleinliche Differenz zwischen König und Königin gewesen. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß dieses in der doch eigentlichen Männerdomäne "Gilde" als Grund genommen wurde, wieder zum Alten zurückzukehren. Wie auch immer, ganz eingeschlafen ist der Gedanke , die Frauen zu beteiligen, nie! Vor allem die Frauen selbst forderten mehr Einfluß af das Gildegeschehen. Am 30. Mai 1992 war es dann soweit, es wurde eine Frauengilde gegründet. Das Fischstechen zur Ermittlung von Königin und Preisträger wurde aus der Tradition übernommen. Im übrigen ist die Frauengilde absolut selbständig. Die Preise werden durch Beträge selbst bezahlt. Darüber hinaus haben die Frauen die Bewirtung der Gildebrüder und Gäste während des Schießens übernommen. Alle Überschüsse aus dem Verkauf von Speisen und Getränken werden der Gilde zur Verfügung gestellt. Im ganzen gesehen war diese Entwicklung eine enorme Bereicherung des Dorflebens! Recht interessant dürfte auch die Mitgliederbewegung insgesamt sein. Über ein Jahrhundert bleibt der Bestand recht konstant zwischen 50 und 60 Personen. Einen auffallend hohen Bestand verzeichnen wir im Jahre 1925 mit 72 Mitgliedern. (Warum? Schwer nachzuvollziehen) Bei Durchsicht der Protokolle stellt man fest, daß doch sehr viele Mitglieder auswärts wohnen. Der größte Teil von denen wird wohl einmal in Ornum-Missunde gelebt haben und ist wohl mit dem Herzen dort geblieben. Und heute? Der Anteil auswärtiger Mitglieder ist relativ hoch. Doch wohl ein Zeichen dafür, daß diese Menschen sich hier wohl und zu Hause fühlen! Und die Zukunft? Der ursprüngliche Sinn einer materiellen Hilfestellung in bestimmten Notfällen wird ohne Zweifel weiter in den Hintergrund treten. Niemand wird in die Gilde eintreten, nur um bei Knochenbruch oder Sterbefall eine Unterstützung zu bekommen. Die allgemeinen Lebensumstände haben sich ganz besonders in den Dörfern in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert. So ist die alte Dorfgemeinschaft (Notgemeinschaft?) einer zunehmenden Individualisierung gewichen. Hier ist wieder eine neue Aufgabe der Gilden entstanden! Die Integrationskraft eines Traditionsvereines ist von Haus aus sehr groß. Und wenn wir uns ansehen, daß praktisch die gesamte Dorfjugend und ihre Freunde Mitglied der Gilde sind, so brauchen wir uns um den Fortbestand keine großen Gedanken zu machen!

Die Missunder Gilde wird leben!

                      Nicolaus Nissen im März 1997


Letzte Änderung Sonntag, 28. Oktober 2001

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